#9   1. Monat / LISTE

Meinen ersten Monat hier will ich mit einem kurzen Rückblick zusammenfassen  und mit einer fortlaufenden Liste über allgemeine Dinge Revue passieren lassen

Schon in meinem vierten und fünften Eintrag habe ich geschrieben, dass ich das Gefühl habe, schon einen viel längeren Zeitraum hier zu sein als ich es tatsächlich bin. Das Gefühl hält an, diese Woche bin ich einen Monat hier, das heißt, ich habe schon einen Monat lang alles in sehr buntem Geld bezahlt, bin täglich Motorradtaxi gefahren, ohne, dass irgendwas passiert ist, habe viel neues und ungewohntes Essen probieren dürfen und viele Dinge sehr zu schätzen gelernt. Hier in diesem Beitrag werde ich eine Liste führen, die ich im Laufe meiner Zeit hier immer wieder aktualisieren werde, mit Dingen, die ich vermisse, zu schätzen gelernt habe oder mir einfach jetzt erst sehr deutlich werden. Los geht's!

1. WASSER

Worte können gar nicht ausdrücken, wie cool Wasser eigentlich ist. Also nicht nur Trinkwasser, sondern generell die Möglichkeit fließendes Wasser im Haus zu haben. Den Wasserhahn aufzudrehen und nicht nur das gurgelnde Geräusch einer wirklich angestrengt versuchenden Wasserleitung zu hören, sondern sofort plätscherndes Wasser zu haben. Von Duschen gar nicht zu sprechen, ich vermisse es zwar sehr, in einer nun sehr luxuriös wirkenden europäisch-regulären Dusche zu duschen, aber zwei Eimer mit Wasser tun's auch. 

Aber auch trinkbares Wasser sofort aus der Leitung zu haben, ist eine Sache, die man sehr schätzen sollte. 

EDIT: Ich schätze es noch mehr, nachdem wir in der letzten Woche kein fließendes Wasser hatten und ich in dem Regenwasser unseres Wassertanks Würmer entdeckt habe. Seitdem putze ich meine Zähne mit Flaschenwasser. 

2. Strom

Das Handykabel in die Steckdose zu stecken und sofort das Display aufleuchten zu sehen, ist zwar auch enorm cool und für viele Leute wahrscheinlich eine absolute Selbstverständlichkeit, aber viel cooler als das ist eigentlich, ständig Strom zu haben und somit auch theoretisch Zugang zu einem funktionierenden Kühlschrank zu haben. Die Alternative, ständig frisches Obst und Gemüse und frisch zubereitete Gerichte zu essen, ist zwar auch nicht schlecht, aber die Haltbarkeit ist doch enorm eingeschränkt und manche Dinge sind einfach besser gekühlt (Joghurt? Fleisch? Milch?).

3. Unterricht

In meinen vorherigen Einträgen habe ich schon erwähnt, wie Unterricht hier funktioniert und ich bin mehr als glücklich, dass das Modell nicht überall so genutzt wird (ich bin nämlich keine gute Auswendiglernerin und hätte somit wenig Chancen auf gute Noten). Was ich mittlerweile auch sehr zu schätzen weiß, ist, dass ich als Schülerin einer Weltethos-Schule mit einem humanistischen Leitbild so unterrichtet wurde, dass meine Individualität immer Teil des Gelernten war und das die Entwicklung des Charakters auch gefördert wurde. Hier ist ein Kind Teil einer Gruppe, entweder der Familie, der Klasse oder der Schule, aber nur sehr selten ein Individuum. 

4. Genug zu haben

Das ist mir vor allem hier in der Schule im Kunstunterricht sehr deutlich geworden, als ich die Kinder der 6. Klasse gebeten habe, Namensschilder zu basteln. Zur Gestaltung habe ich einen Jutebeutel mit Buntstiften mitgebracht und niemand wird sich den Streit vorstellen können, der ausgebrochen ist, als ich die Kinder gebeten habe, sich jeweils drei Stifte zu nehmen und dann mit ihren Nachbarn zu tauschen. Für mich war der Grund des Streits und der Unruhe in der Klasse anfänglich nicht verständlich (auch wegen der sprachlichen Barriere - Luganda war und ist die vorherrschende Sprache hier, obwohl eigentlich in der Schule englisch gesprochen werden soll), bis mir sehr deutlich wurde, dass die meisten Kinder wahrscheinlich noch nie eine ganze Tasche mit Buntstiften zur Verfügung hatten. 'Warum hat xy Gelb und Grün und ich nur Hellblau und Dunkelblau?' Das Konzept des Teilens und Tauschens ist auch nur schwierig erklärt, wenn die Kinder damit beschäftigt sind, ihre zugeteilten Buntstifte zu hüten wie neue Körperteile, weil sie es nicht gewohnt sind, Buntstifte nur für sich zu haben und diese dann nicht wieder sofort in einem Tausch möglicherweise gegen einen weniger schönen Stift verlieren wollen oder gar ganz zu verlieren ohne einen Stift zurück zu bekommen. Wir arbeiten noch am Teilen.

Genug zu haben gilt aber auch für alles andere, zum Beispiel wenn man den Schrank aufmacht und Nahrung sieht, oder Kleidung und sich in der Sicherheit weiß, dass man genug davon hat. 

5. Haustiere

Viele wissen, dass ich ein sehr tierlieber Mensch bin und mich auch sehr leicht von allen möglichen Tieren begeistern lasse. Hier vor Ort ist das Halten von Haustieren nicht sehr beliebt, da Tiere hier vor allem Nutztiere sind. Es gibt viele Ziegen und Hühner und manchmal sogar Kühe und Rind, die sich dann frei bewegen und fressen oder grasen und mit einer Zugehörigkeitsmarkierung versehen sind, aber richtige Haustiere werden hier als ein weiteres Lebewesen gesehen, dass gefüttert werden muss, und das stellt viele vor eine Herausforderung. Streunende Hunde und Katzen gibt es trotzdem, Hunde werden oft als Wachhunde gehalten und streunen besonders nachts umher. Es fällt mir oft schwer, besonders den Hunden und Katzen zu meinem Schutz keine Aufmerksamkeit zu schenken, da sie oft Flöhe haben und teilweise auch mit anderen Krankheiten infiziert sind, die durch Bisse oder Kratzer übertragen werden könnten. 

6. verkehrsregeln

Links fahren ist ja an sich schon verrückt genug, aber links fahren ohne Verkehrsregeln ist noch verrückter. Auch die Fahrzeuge an sich sind oft überraschenderweise noch fahrtüchtig, obwohl sie nicht den Anschein erwecken, das gilt für die meisten Matatues. Hier gibt es auch neue und schicke Autos und Geländewagen, vornehmlich in der Stadt, aber eben nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft. 

Was ich auch sehr schätzen gelernt habe, sind Umweltplaketten. Gerade in Downtown Kampala. wo immer sehr reger Verkehr herrscht, fällt es mir oft schwer zu atmen, da Abgase die Atemluft dominieren. 

7. religionsfreiheit

In Deutschland ist die Religionsfreiheit ja mittlerweile mehr oder weniger angekommen, aber hier lerne ich eine noch freiere und akzeptierendere Form dessen. Hauptsächlich sind die Menschen hier Christen, allerdings gibt es sehr viele verschiedene Kirchen und Ausrichtungen (zum Beispiel Adventisten oder Born Again Churches), denen sich die Gläubigen angehörig fühlen. Es gibt aber auch eine große Zahl an Muslimen, was auch an der Zahl der Moscheen hier in Kampala zu sehen ist, davon zeugt auch die Nationale Moschee, welche eine wichtige Rolle in der Religionsgemeinschaft einnimmt. Das Beste an den beiden vorherrschenden Religionsgruppen ist, dass alle miteinander klar kommen. Jeden Morgen werde ich vom Gebetsruf des Muezzin geweckt zum Sonnenaufgang und nachdem er diesen beendet hat, schallen nach ein paar höflichen Minuten des Wartens Klänge von christlichen Gebetsliedern durch die Straßen. Auch hier in der Schule werden die Kinder jeden Mittwoch für 30 Minuten  über Religion und die persönliche Zugehörigkeit unterrichtet. 

8. nasenfarbe

Obwohl wir darauf vorbereitet wurden, dass unser offensichtlich anderes Aussehen zu Aufregung führen wird, ist es doch in gewisser Weise bedrückend, es jeden Tag aufs Neue zu erleben. Es ist eine sehr neue Erfahrung immer nur auf seine Nasenfarbe reduziert zu werden (Muzungu ist ironischerweise swahili und heißt wortwörtlich 'Weißnase'. Swahili wird von kaum jemandem in Uganda gesprochen, da mit der Sprache schlechte Erinnerungen an Bürger- und Königreichskriege und verbunden sind.) und auch irgendwie nicht mehr zu sein, als das. Meine ganze Person wird mit dem sehr anhaltenden Ausruf 'Muzungu' immer wieder aufs Neue nur auf die Nase/die Hautfarbe reduziert, somit bin ich also nur noch die Weiße. Sobald ich jemanden kennen lerne, der meinen Namen auch kennt, bin ich wieder Marlen und eine zu respektierende Person, aber vorher bin ich nur das Abbild einer weißen, reichen Europäerin, die auch dementsprechend behandelt wird (siehe vor allem Preise). Ich hätte vor meinem Flug und auch in meinen ersten Wochen hier nicht gedacht, dass mich diese Thematik so nachhaltig und anhaltend bedrückt.

9. Gender-farben

In Deutschland ist das Phänomen der Farben, denen ein Geschlecht zugeordnet wird (Blau für Jungen, Pink für Mädchen), ja ziemlich tief verankert und verwurzelt. Mädchen, die blau tragen, sind zwar auch vollkommen anerkannt, aber Jungs/Männer, die eine 'Mädchenfarbe' tragen, werden immer eher abwertend angeguckt und bekommen oft Sprüche zu hören, meistens mit dem Inhalt, dass ihre vermeintliche 'Mädchenkleidung' sie weniger männlich macht (weil weiblich sein ja natürlich auch das Schrecklichste ist, was jemandem passieren kann). 

Hier ist das anders, hier wird getragen, was da ist. Auf der einen Seite  ist das wirklich cool, weil sich nicht darum gekümmert wird, wer was trägt und was gerade cool und angesagt ist und weile Farbe out ist. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Zeichen eines absoluten Luxusproblems, so viel Gedanken daran verschwenden zu können, welches Geschlecht welche Farben tragen darf, ohne zum Gespött der Gesellschaft zu werden. Farben sind Farben und dementsprechend keinem Geschlecht zugeordnet. 

10. Altkleidersammlungen

Ein weiterer Punkt zum Thema Kleidung: Hier gibt es kaum neue Kleidung. Selbst in Kampala, der Hauptstadt gibt es keinen h&m-Store oder ähnliche Ketten. Hier gibt es viele Läden, die gespendete Kleidung verkaufen, oft mit vielen Markennamen dabei. Das Konzept alleine ist eigentlich schon bedenklich, weil die Sachen, die aus dem globalen Norden, also aus den Industrieländern wie zum Beispiel auch Deutschland gespendet werden, werden hier weiter verkauft (und erfüllen somit nicht Sinn und Zweck der Spende).  Aber manchmal ist es auch in der spontanen Situation sehr lustig, jemandem auf der Straße zu begegnen mit offensichtlichen Kleidungsstücken aus besagten Altkleider-Stores. Oft kommen einem Leute entgegen, die T-Shirts von lokalen Sportvereinen tragen, aber auch andere Vereinsshirts sind heiß beliebt. Ungeschlagen bleibt bis jetzt der junge Mann mit dem T-Shirt der Oberallgäuer Hundestaffel aus dem Jahr 1974. Einfach ein Hingucker!